Luxembourg
This article was added by the user . TheWorldNews is not responsible for the content of the platform.

Mikrokosmos Altersheim

Jeder ist in seiner eigenen Welt ... Die drei Schauspieler in der Produktion "Home" von Magrit Coulon im Kinneksbond.

Drittes Alter auf der Bühne

Jeder ist in seiner eigenen Welt ... Die drei Schauspieler in der Produktion "Home" von Magrit Coulon im Kinneksbond.

Foto: Hubert Amiel

Das könnte Sie auch interessieren

Kultur , TNL , Theaterstück Lovefool , mit Kristin Winters , Regie Gintare Parulyte ( l.) Foto:Guy Jallay/Luxemburger Wort

Toxische Männlichkeit auf der Bühne

Gintare Parulyte ist in ihrem Stück „Lovefool“ im TNL dem Erwartungsdruck, dem Frauen ausgesetzt sind und ihren Fallstricken auf der Spur.

Weinstein-Skandal

Der dokumentarische Film „She Said“ verschafft sexuell genötigten Frauen Gehör. Weit mehr als ein wichtiger Beitrag für die #metoo-Bewegung.

A la galerie Simoncini

Les récentes sculptures de l’artiste Jhemp Bastin sont autant de témoignages de la mémoire des temps que d’une vision contemporaine.

Echter'World im Trifolion

Echter'World im Trifolion

Wie gleich drei Frauen ein besonderes Festivalereignis in der Abteistadt bestreiten.

Au Théâtre d’Esch-sur-Alzette

Au Théâtre d’Esch-sur-Alzette

Avec «La Plus précieuse des marchandises» Jean-Claude Grumberg traite une fois encore de ce sujet qui traverse son œuvre - l’holocauste.

Magrit Coulon gibt mit „Home“ im Kinneksbond in Mamer Einblick in den Alltag von Pflegeheimen. Eine traurig-groteske Parallelwelt.

Drittes Alter auf der Bühne

Anina VALLE THIELE

Anina VALLE THIELE

Das Stück „Home“ im Kinneksbond gibt Einblicke in den Alltag von Pflegeheimen. Magrit Coulom zeichnet eine traurig-groteske Parallelwelt.

Die Situation in den Pflegeheimen ist eine Dauerbaustelle. Die Pandemie hat die Zustände nicht verbessert. In Frankreich sorgte die Gruppe Orpéa zu Beginn des Jahres für Negativ-Schlagzeilen: Personalmangel, Essensrationierung und Bewohner, die in ihren eigenen Exkrementen liegengelassen wurden ... 

Victor Castanets’ Buch „Les Fossoyeurs“ („Die Totengräber“) und die Auszüge, die Le Monde aus seinem Buch veröffentlichte, in dem er dem Konzern vorwarf, ein lukratives „Business mit dem Alter“ zu betreiben, gerieten zum handfesten Skandal. Anfang November berichteten luxemburgische Medien, dass das Familienministerium eine vorläufige Zulassung für ein Projekt der Orpéa-Gruppe bewilligt habe, eine Seniorenresidenz in Luxemburg-Merl. Die Residenz hat unlängst ihre Zulassung erhalten.

In Konzentration auf die Ästhetik der Inszenierung umgeht das Stück jede voyeuristische Note.  

Das Theaterprojekt „Home“ der deutsch-französischen Theatermacherin Magrit Coulon interessiert sich für die menschlichen Faktoren. Zum Glück, umgeht es doch in Konzentration auf die Ästhetik der Inszenierung jede voyeuristische Note.  

In der einstündigen Inszenierung Coulons, die sich zwischen Dokumentartheater und Fiktion bewegt, leihen drei junge Schauspieler (Carole Gantner, Alice Borgers, Félix Vannoorenberghe) ihre Körper den Stimmen der Senioren. Die authentischen Stimmen der für das Projekt befragten Heimbewohner werden teilweise abgespielt und wiedergegeben. Das beklemmende Stück inspiriert sich so an reellen Eindrücken, die das Team in einem Pflegeheim in Brüssel beobachtet hat, und schöpft aus Begegnungen, die dort stattfanden.

Die Produktion im Kinneksbond in Mamer, die in Zusammenarbeit mit gero,  Kompetenzzenter fir den Alter, dem TROIS C-L und Kommissionen der Gemeinde gezeigt wurde, kommt unaufgeregt daher. Die Bewohner dämmern vor sich hin. Die Aufmerksamkeit liegt auf ihren Bewegungen und Gesichtern.

Das beklemmende Stück inspiriert sich so an reellen Eindrücken, die das Team in einem Pflegeheim in Brüssel beobachtet hat, und schöpft aus Begegnungen, die dort stattfanden.  

Das Bühnenbild erstrahlt weiß und bietet Einblick in ein Wohnzimmer: ein Tisch, drei Stühle, ein Radio, ein Sessel, ein Klavier. Es ist ein Gemeinschaftsraum, in dem sich die drei jungen Schauspieler bewegen. – Ein aseptischer Raum, in dem jeder allein ist und man der Zeit beim Vergehen zuhört (der Zeiger der laut tickenden Wanduhr wandert während des Stücks). Die Zuschauer sitzen nah am Geschehen, quasi am Bühnenrand. So erlebt man die Inszenierung sehr nah mit, wird fast Teil davon. Die leuchtend weißen Wände überstrahlen die Altenheimrealität.

Eine Schauspielerin sitzt in sich versunken am Tisch, eine weitere nährt sich schlurfend mit Gehgestell; die Darsteller tragen schwarze Leggings. Jeder ist in seiner eigenen Welt ... Später werden sie am Tisch sitzen, tragen Lätzchen und goldene Papp-Kronen. Ist Dreikönigstag? Groteske Momente gehen in Coulons’ Stück Hand in Hand mit traurigen, ergreifenden. 

Groteske Momente gehen in Coulons’ Stück Hand in Hand mit traurigen, ergreifenden.   

Der Rhythmus des Alltags hinter den verschlossenen Türen, die Mechanik der Bewegungen (jede Bewegung erscheint hier sorgsam einstudiert) transportiert sich, der Raum vermittelt das Gefühl von verlorenen und gelebten Träumen. Ein Leben in der Vergangenheit.

Das Anschalten des Radios und die Bedienung des Telefons vollzieht sich wie in Zeitlupe. Alltägliche Verrichtungen werden zu Hürden. Die Bewohner äußern unzusammenhängende Fragmente oder nüchterne Feststellungen: „Das Haus ist verkauft“, reden sie sich zur Selbstvergewisserung ein: „Wir werden nach Hause zurückkehren.“

Momente der Stille wechseln sich ab mit ausgelassener Freude, etwa, wenn ein Bewohner am Klavier Platz nimmt und „Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael ...“ von Nina Hagen trällert. Dann wieder versinkt jeder in sich. Ein anderes Zeitempfinden. Wie lange kann eine Minute sein? Wie lange ein Tag? Ab und zu taucht eine Stimme auf, teilen die Bewohner Gedanken ... weit zurückreichende Erinnerungen wie die an die koloniale Vergangenheit.

Wenn sich draußen ein Sturm ankündigt, der die Wände einzureißen droht, ist dies die Metapher für das aufgewühlte Innenleben der Bewohner. Das „Moi je ne suis pas chez moi“ („Ich bin nicht bei mir“) ist in vielerlei Hinsicht doppeldeutig zu verstehen. Am Ende stehen: blutverschmierte Gesichter – die Bühne gleicht einem Schlachtfeld. Wer gestürzt ist und wie sich die Bewohner verletzt haben, kann keiner mehr rekonstruieren.

Das „Moi je ne suis pas chez moi“ ist in vielerlei Hinsicht doppeldeutig zu verstehen.   

Die auf Deutsch eingeblendete Übersetzung ist nur schwer erkennbar, was insofern kaum stört, als dass das Stück auch ohne Worte funktionieren könnte. Eine Ausstellung „Vive la diversité“ im Untergeschoss des Kinneksbond zeigt noch bis zum 9. Februar parallel Biografien von Menschen aus Pflegeheimen.

„Home“ bleibt eine künstlerische Auseinandersetzung und ein Blick von Jungen auf „die Alten“, ein Blick von außen. Muss man aber das Alter(n) zwangsläufig als Bedrohung, als Leiden darstellen? Die soziologische Altersforschung konstatiert eine Diskrepanz zwischen dem Selbst- und dem Fremdbild älterer Menschen: Was man als älterer Mensch empfindet, noch tun möchte und kann, steht dem gegenüber, was die anderen Menschen „nur noch“ von einem erwarten; eine Nuancierung, die auf der Bühne so nicht vorgenommen wird.

„Home“ bleibt eine künstlerische Auseinandersetzung und ein Blick von Jungen auf „die Alten“, ein Blick von außen.   

Trotzdem wird die Realität alternder Menschen in bestimmten Situationen bzw. Heimen auf der Bühne sehr präsent. „Home“ gibt auf sensible Art und Weise Einblicke in die gern ignorierte Welt der Altersheime. Dass das Thema „Pflegenotstand“ und die zum Teil unhaltbaren Zustände in manchen Heimen nicht vorkommen, erweist sich als durchdacht. Es wäre sonst womöglich misslungen, was die Schauspieler mit „Home“ eindrucksvoll meistern: die Menschen trotz ihrer offensichtlichen physischen und kognitiven Einschränkungen in Würde darzustellen.

-------------

„Home, Morceaux de nature en ruine“ mit den Stimmen der Bewohner des Hauses Malibran. Inszenierung: Magrit Coulon. Schauspieler: Carole Gantner, Alice Borgers, Félix Vannoorenberghe.  Premiere in Luxemburg war am 26. November im Kinneksbond in Mamer. Keine weiteren Vorstellungen.

In der heutigen schnelllebigen Zeit besteht ein großer Bedarf an zuverlässigen Informationen. Fakten, keine Gerüchte, zugänglich und klar formuliert. Unsere Journalisten halten Sie über die neuesten Nachrichten auf dem Laufenden, stellen politischen Entscheidern kritische Fragen und liefern Ihnen relevante Hintergrundgeschichten.

Als Abonnent haben Sie vollen Zugriff auf alle unsere Artikel, Analysen und Videos. Wählen Sie jetzt das Angebot, das zu Ihnen passt.