Luxembourg
This article was added by the user . TheWorldNews is not responsible for the content of the platform.

Wenn nur noch Wärme auf ärztliches Rezept hilft

Das könnte Sie auch interessieren

A health worker prepares a dose of the Covid-19 coronavirus booster vaccine for airport workers at Ngurah Rai Airport near Denpasar on the Indonesian resort island of Bali on January 30, 2023. (Photo by SONNY TUMBELAKA / AFP)

Corona

Die massive Infektionswelle, die seit Anfang Dezember durch das Land rollt, hat nach offiziellen Angaben ihren Höhepunkt überschritten.

Ukraine-Konflikt

Die Ukraine fordert Kampfjets, die USA haben eine Lieferung nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Bundeskanzler Olaf Scholz fordert eine seriöse Debatte.

Machtergreifung am 30. Januar 1933

Zentralbild Reichspräsident von Hindenburg und Reichskanzler Adolf Hitler am Tage von Potsdam (21. März 1933)

Machtergreifung am 30. Januar 1933

Zentralbild Reichspräsident von Hindenburg und Reichskanzler Adolf Hitler am Tage von Potsdam (21. März 1933)

Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 markiert das Ende der Weimarer Republik und den Beginn der Nazi-Terrorherrschaft.

Adolf Hitler becomes Chancellor of Germany, 30 January 1933. Hitler (1889-1945), leader of the Nazi Party, looking down on the crowds as they cheered him after the election results were known. (Photo by Historica Graphica Collection/Heritage Images/Getty Images)

90 Jahre Machtergreifung

Adolf Hitler becomes Chancellor of Germany, 30 January 1933. Hitler (1889-1945), leader of the Nazi Party, looking down on the crowds as they cheered him after the election results were known. (Photo by Historica Graphica Collection/Heritage Images/Getty Images)

Sind moderne Demokratien immun gegen radikale Ideen und einen Machtwechsel wie 1933 in Deutschland? Mitnichten, wie rezente Beispiele belegen.

Nach Terrorwelle

27.01.2023, Israel, Jerusalem: Benjamin Netanjahu (M), Premierminister von Israel, besucht den Tatort in der Nähe einer Synagoge. In einer israelischen Siedlung in Ost-Jerusalem sind mehrere Menschen durch Schüsse getötet worden. Foto: Oren Ziv/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Nach dem schwersten Anschlag eines Palästinensers seit 2008 will Israels Regierungschef durchgreifen - auch gegen Angehörige von Attentätern.

Millionen Briten frieren in diesem Winter. Manche protestieren und fordern staatliche Intervention, andere suchen nach innovativeren Lösungen.

Großbritannien

Millionen Briten frieren in diesem Winter. Manche protestieren und fordern staatliche Intervention, andere suchen nach innovativeren Lösungen.

Von Peter Stäuber (London)

In London zeigt das Thermometer an diesem sonnigen Morgen gerade mal einen Grad Celsius. Eigentlich nicht ideal für einen Protest, aber in diesem Fall passt das frostige Wetter ganz gut. Dick eingepackt, mit Schal und kuscheligem Stirnband, steht Alex Considine vor dem Parlamentsgebäude in Westminster, in der Hand drei weiße Rosen. Zusammen mit etwa fünfzig anderen Leuten ist sie heute hierhergekommen, um gegen die wachsende Krise der Energiekosten zu protestieren.

„Warm banks“ gegen das Frieren

„Meine Wohnung ist kalt und feucht“, sagt Considine, Therapeutin in London. „Seit Jahren beschweren wir uns bei unserem Vermieter, aber nie hat er etwas dagegen unternommen.“ Es werde laufend schlimmer, und gerade in diesem Winter sei die Situation prekär. „Wir haben die Heizung nach unten gedreht, die elektrischen Geräte sind ausgeschaltet, und oft haben wir die Lampen aus und sitzen bei Kerzenlicht im Wohnzimmer.“ Ihre Energierechnungen zahlt sie nur noch sporadisch, und jeweils nur so viel, wie sie sich gerade leisten kann.

In diesem Winter sind die Strom- und Gasrechnungen für britische Haushalte doppelt so hoch wie im Vorjahr.

Die Energiekrise in Großbritannien hat dramatische Ausmaße angenommen. In diesem Winter sind die Strom- und Gasrechnungen für britische Haushalte doppelt so hoch wie im Vorjahr. Viele können sich das Heizen gar nicht mehr leisten. Laut einer Studie saßen im letzten Jahr über drei Millionen Haushalte ohne Gas und Strom in ihren Wohnungen, weil ihnen das Geld ausgegangen war. Im ganzen Land haben Lokalbehörden und Stiftungen sogenannte „warm banks“ eingerichtet: Warme Räume in öffentlichen Gebäuden, wo sich frierende Bürger aufwärmen können. Und unzählige Briten machen es wie Alex Considine und drehen die Heizung runter, um Geld zu sparen.

Die Zahl der britischen Haushalte in Energiearmut – die also mehr als zehn Prozent ihres Einkommens fürs Heizen nutzen – ist laut Schätzungen in diesem Winter von 4,5 Millionen auf 6,7 Millionen gestiegen.

Die Zahl der britischen Haushalte in Energiearmut – die also mehr als zehn Prozent ihres Einkommens fürs Heizen nutzen – ist laut Schätzungen in diesem Winter von 4,5 Millionen auf 6,7 Millionen gestiegen.

Illustrationsfoto: dpa

Mit ihren 53 Jahren zählt Considine heute zu den jüngeren Protestierenden. Viele ihrer Mitstreiter sind Pensionäre, Großmütter, Menschen mit altersbedingten Krankheitserscheinungen. Sie werden von der Energiekrise am schwersten getroffen, denn gerade Leute mit körperlichen Beschwerden brauchen ein warmes Zuhause.

Um Energiekosten einzusparen wird derzeit in vielen Haushalten die Heizung etwas heruntergedreht.
„Vorher war es eigentlich zu warm in der Wohnung"

Die Energierechnungen fielen in vielen Haushalten weniger hoch als befürchtet aus. Einige Heizungen bleiben dennoch kalt. Eine Umfrage.

Die Fuel Poverty Action Group, die den Protest organisiert hat, hat bewusst diesen Tag für ihre Aktion gewählt. Heute gibt das nationale Statistikbüro ONS die neusten Zahlen zu den „Wintertoten“ bekannt. Von Dezember bis März sterben jeweils mehr Menschen als in den warmen Monaten, und das ONS zählt jedes Jahr, wie viele dieser „zusätzlichen“ Todesfälle es im Vergleich zum Durchschnitt der milden Jahreszeit sind. 13.400 waren es im vergangenen Winter, so meldet das ONS kurz vor Mittag. Laut Armutsstiftungen sind ein erheblicher Teil dieser Todesfälle auf kalte Wohnungen zurückzuführen.

Die Protestierenden haben die Zahl auf einen schwarzen Sarg aus Holz geschrieben, sie tragen ihn in einem langsamen „Trauermarsch“ die paar hundert Meter zur Downing Street, wo der Premierminister wohnt. Viele haben weiße Rosen mitgebracht, so wie Alex Considine.

„Energie für alle“  

Sie haben auch eine konkrete Forderung an die Regierung: „Energie für alle“. Alle Haushalte sollen kostenlos so viel Energie nutzen können, damit sie ihre grundlegenden Bedürfnisse decken – Kochen, Heizen, Licht und so weiter. Eine Zufallsgewinnsteuer für Energiekonzerne soll einen Teil der Kosten decken.

Freilich ist es ausgeschlossen, dass sich die Regierung so etwas auch nur erwägt. Zwar hat sie Hilfe bereitgestellt: Nach großem öffentlichem Druck hat sie die Energiepreise so beschränkt, dass ein durchschnittlicher Haushalt bei durchschnittlichem Gebrauch nicht mehr als 2.500 Pfund pro Jahr zahlen muss – ohne diese staatliche Intervention wären es 3.500 Pfund gewesen. Aber für viele sind Strom und Gas trotzdem unerschwinglich. Die Stiftung National Energy Action schätzt, dass die Zahl der Haushalte in Energiearmut – die also mehr als zehn Prozent ihres Einkommens fürs Heizen nutzen – in diesem Winter von 4,5 Millionen auf 6,7 Millionen gestiegen ist.

Die Folgen spürt man auch in Gloucester, einer Stadt rund 150 Kilometer westlich von London. Zuweilen klingeln die Telefone in ihrem Büro pausenlos, sagt Sophie Wootton-Lee. Die 30-Jährige – kurze schwarze Haare, Drahtbrille – arbeitet bei der Stiftung Severn Wye Energy Agency und spricht per Zoom von ihrem Arbeitsplatz bei Gloucester. „Viele Leute sind wirklich am Limit. Und wir sehen, wie besorgt und ängstlich viele sind.“

Wärme auf ärztliches Rezept  

Severn Wye hilft Not leidenden Leuten mit Beratung, oft auch mit Geld. In diesem Winter hat die Organisation ein neues Projekt gestartet: Wärme auf ärztliches Rezept. Es richtet sich an besonders gefährdete Leute, also solche, die aus gesundheitlichen Gründen auf eine warme Behausung angewiesen sind.

ARCHIV - 13.12.2022, Sachsen, Chemnitz: Ein Mitarbeiter montiert eine Großrundstrickmaschine. Die Industrie in Deutschland hat im November einen herben Dämpfer beim Auftragseingang verzeichnet. (zu dpa «Auftragseinbruch in der Industrie») Foto: Jan Woitas/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Personalengpässe und Energiekrise setzen der Industrie zu

Für das erste Halbjahr hat René Winkin, Geschäftsführer des Luxemburger Industrieverbands Fedil, einen eher pessimistischen Ausblick.

Die Warm Home Prescription funktioniert so: Stellt eine Hausärztin bei einer Routineuntersuchung fest, dass ein Patient für ein Wärmerezept infrage kommt, verweist sie ihn an Severn Wye. Oft leiden die betroffenen Leute an Atemwegs- oder Herzerkrankungen, sie haben Asthma oder Arthritis, und sind zudem bedürftig, sodass sie mit der Bezahlung der Stromrechnungen Mühe haben. Daraufhin statten die Experten von Severn Wye den Patienten einen Besuch ab, werfen einen Blick in die Energierechnungen, und entscheiden, wie viel Hilfe sie bereitstellen können. „Wir können bis zu vier Monate lang die Rechnungen für Strom und Gas übernehmen“, sagt Wootton-Lee. Das Geld kommt vom staatlichen Hilfsfonds für Not leidende Bürger, dem Household Support Fund.  

Es bildet sich eine breite Koalition von Leuten, die den Zusammenhang herstellen zwischen Energiekrise, Klimakrise und Krise der Lebenshaltungskosten.

Alex Considine

Ein erstes Pilotprojekt wurde im letzten Winter aufgezogen, damals beteiligten sich 28 Leute in Gloucester und Umgebung. „In diesem Jahr haben wir etwa doppelt so viel Geld zur Verfügung, wir hoffen, dass wir in diesem Winter etwa 60 Haushalten helfen können“, sagt Wootton-Lee. Bereits jetzt ist sie überzeugt, dass das Projekt ein voller Erfolg ist: „Die betroffenen Haushalte sagen uns, dass es ihr Leben verändert hat.“ Sie erzählt von einem Mann, der an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung leidet und bei kaltem Wetter regelmäßig ins Krankenhaus eingeliefert werden muss. „Der letzte Winter war der Erste, in dem er nicht im Krankenhaus war“, sagt Wootton-Lee. Das verdanke sich vor allem der Tatsache, dass er die Heizung anlassen kann, solange er will – ohne finanzielle Konsequenzen fürchten zu müssen.

ARCHIV - 14.12.2022, Großbritannien, London: Ein Mann betrachtet die Abfahrtstafel im Bahnhof Euston in London während eines Streiks von Mitgliedern der Gewerkschaft Rail, Maritime and Transport (RMT) in einem lang anhaltenden Streit um Arbeitsplätze und Renten. (zu dpa «Land des Stillstands: Streikwelle lähmt Großbritannien») Foto: James Manning/PA Wire/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Streikwelle lähmt Großbritannien kurz vor Weihnachten

Keine Weihnachtspost, kein Verwandtenbesuch, keine Notaufnahme – und Reisenden drohen lange Schlangen an der Passkontrolle. Großbritannien streikt.

In Westminster ist der Protestzug an der Downing Street angekommen, der Sarg wird vor dem Absperrgitter niedergelegt. Alex Considine ist überzeugt, dass der Widerstand in den kommenden Monaten wachsen wird. „Immer mehr Leute schließen sich uns an“, sagt sie. „Es bildet sich eine breite Koalition von Leuten, die den Zusammenhang herstellen zwischen Energiekrise, Klimakrise und Krise der Lebenshaltungskosten.“  

In der heutigen schnelllebigen Zeit besteht ein großer Bedarf an zuverlässigen Informationen. Fakten, keine Gerüchte, zugänglich und klar formuliert. Unsere Journalisten halten Sie über die neuesten Nachrichten auf dem Laufenden, stellen politischen Entscheidern kritische Fragen und liefern Ihnen relevante Hintergrundgeschichten.

Als Abonnent haben Sie vollen Zugriff auf alle unsere Artikel, Analysen und Videos. Wählen Sie jetzt das Angebot, das zu Ihnen passt.